WAZ 20. Sep. 2010
Experten mit Lebenserfahrung
Alexander Becker
Buer. Rüdiger von Schoenfeldt, dem Gelsenkirchener Polizeipräsidenten, ist die Angst genommen worden. „Ich bin anfangs schon unsicher gewesen“, berichtet er von seinem Besuch im Bruder-Jordan-Haus. Dort hatte er kürzlich gemeinsam mit einer Gruppe demenzkranker Menschen gefrühstückt. Am Samstagmittag schließlich stand der Polizeichef auf der Bühne am Goldbergplatz gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Joachim Poß und Propst Wilhelm Zimmermann, die ebenfalls in Einrichtungen der Caritas-Altenhilfe hospitiert hatten und teilte seine Erfahrungen. Und die seien sehr beruhigend gewesen. „Die Betreuung beispielsweise ist sehr gut.“ Anlass der Veranstaltung: „Experten fürs Leben“ – eine Aktion der Caritas im Ruhrbistum.
Der Gospelchor der Erler St. Barbara-Gemeinde sorgte auf der Bühne an der Hochstraße für die musikalische Begleitung. Foto: Heinrich Jung
„Wir wollen zeigen, dass ältere Menschen nicht nur als hilfs- oder pflegebedürftig zu sehen sind, sondern Experten sind“, erklärt Peter Spannenkrebs, Direktor der Gelsenkirchener Caritas. An einer Litfaßsäule sind Ratschläge älterer Menschen angeheftet. „Eine ältere Dame ist Expertin für Beziehungsfragen“, gibt Peter Spannenkrebs ein Beispiel. Sie habe vieles erlebt in ihrem Leben und könne gut zuhören. „Viele Erfahrungen, die Menschen heute machen, haben die Menschen früher schließlich auch schon gemacht“, weiß Peter Spannenkrebs.
15 Vereine und Verbände haben am Beginn der Hochstraße ihre Pavillons aufgebaut, an denen sie die Bürger über ihr Engagement informieren. Darunter sind die die Familienlotsen. „Wir gehen in Familien mit Kleinkindern, um die Eltern einmal in der Woche für einige Stunden zu entlasten, wenn beispielsweise ein Arztbesuch ansteht“, erklärt zum Beispiel Hannelore Schäfers. Die 67-Jährige macht seit anderthalb Jahren bei dem Projekt mit – und hat bis dato ausschließlich gute Erfahrungen sammeln können. „Als anstrengend würde ich diese Aufgabe nicht bezeichnen. Es ist vielmehr eine schöne Sache; die Eltern freuen sich immer, wenn wir kommen.“
Er sei sehr zufrieden, wie der Caritas-Tag laufe, sagt Peter Spannenkrebs, während auf der Bühne „Tuba Libre“, ein großes Musik-Ensemble, verschiedene Lieder zum Besten gibt. „Viele Menschen haben an der Bühne und den Ständen verweilt, dafür waren die Musik und das gute Wetter sehr wichtig.“
Auch bei der ZWAR-Gruppe bleiben die Menschen stehen und schauen sich alte Fotos aus einer großen Box an. ZWAR steht für „Zwischen Arbeit und Ruhestand“, in den Gruppen treffen sich Menschen im Übergang zwischen Erwerbstätigkeit und Rente. „Wir sind eine Freizeitgruppe“, sagt Christa Tüllmann, die in der ZWAR-Gruppe Neustadt/Ückendorf aktiv ist. „Aber neben dem Spaß für uns wollen wir uns auch sinnvoll für andere engagieren.“
Entstanden ist besagte Box. „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, wird Jean Paul, ein deutscher Schriftsteller aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zitiert. Mit Fotos von Gelsenkirchener Orten und Ereignissen aus den Jahren 1945 bis 1970 sollen Erinnerungen Demenzkranker aktiviert werden. Deshalb möchte die ZWAR-Gruppe sie immer wieder an Altenheime ausleihen.
Aber nicht nur dort rufen die 75 Bilder Erinnerungen bei den Besuchern wach: „Jeder, der heute hier vorbeischaut, hat zu den Bildern eine Geschichte zu erzählen.“ Wie eine Dame, die das Foto vom alten Freibad Grimberg betrachtet. „Da war ich einmal und bin dort auf eine Scherbe getreten. Danach bin ich nie wieder da hin.“
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